13. April 2020
Liebe ÖGPAM-Runde!
Erlaube mir Euch ein paar österliche Gedanken in Anlehnung an Arnold Mettnitzers Oster–Artikel in den Salzburger Nachrichten zu senden. Sind in unserer Familienrunde nach längerer Hin und Her–Diskussion entstanden. Vielleicht gefallen Euch die Gedanken auch:
Unser Gesundheitssystem ist so komplex, dass wir als einzelne Ärzte nicht alles durchschauen, geschweige denn das große Ganze gestalten können. Wir können aber ein wenig bei der Zukunftsgestaltung mitspielen, damit uns der Sinn der Arbeit über die vielen Unstimmigkeiten nicht verloren geht. Wenn wir gerade in Coronazeiten in Vielem zu wenig Sinn erkennen, überkommt uns das Gefühl, ausgeliefert zu sein, Opfer zu sein, was unserer Psyche sicher nicht gut tut.
Jeder von uns hat eine andere Grundvorstellung davon, was er von der Arbeit erwartet, um sie erfüllend zu erleben. Gemeinsam haben wir die Sehnsucht nach Stimmigkeit in uns und machen vor allem derzeit täglich die Erfahrung mit dem Gegenteil.
Das lässt Manche verzweifeln. Wir können die drohende Resignation aber auch umdrehen im Sinn von Viktor Frankl oder Dalai Lama: Wir verzweifeln nicht daran, dass unsere Sehnsucht nach Stimmigkeit nicht in Erfüllung geht, sondern bleiben neugierig, was uns einfällt , um mit den Unstimmigkeiten zurecht zu kommen. Unser Lebensziel besteht ja nicht unbedingt darin, dass alles passen muss, sondern kann auch darin sinngebend sein, nicht zu verzweifeln, wenn manche Dinge eben nicht passen.
Natürlich wollen wir trotzdem nach Verbesserungen streben und uns sinngebende Ziele stecken, obwohl wir wissen, dass wir sie wahrscheinlich nicht alle erreichen können. Wir können dabei aber wenigstens an uns selbst wachsen und Potenziale entfalten, die in uns schlummern. Wir können uns dann zumindest freuen, wenn wir erleben, was durch unser Denken und Wirken möglich ist.
Ostern, für Viele nach wie vor Fest der Auferstehung, Sehnsucht nach einem Ausweg, kann in diesem Sinn je nach Weltanschauung etwas mit Corona zu tun haben, auch wenn derzeit der Weg aus der Krise noch weit entfernt ist. Wir können uns gedanklich über die Grenzen der derzeitigen Situation hinaustreiben lassen. Grenzwandern gehört ja zu unserem Beruf und viele von uns empfinden dies auch als das eigentlich Spannende an ihm. Über Grenzen hinaus denken, neue Ziele suchen, machen wir unwillkürlich derzeit alle, auch wenn wir Vieles bei der Grenzwanderung erdachte letztlich dann doch nicht erreichen.
Zumindest ist die Grenzerfahrung mit dem Aushalten der Unstimmigkeiten etwas, dem wir auch unsere Neugier widmen können. Das bewusst zu machen, was dabei in unserer Gefühlswelt geschieht, wäre in der Corona-Zeit ein lohnendes Unterfangen und könnte uns die uralte Idee „Ostern“ eventuell neu erleben lassen.
Herzliche Grüße zum Ostermontag
Reinhold
Lieber Reinhold,
vielen Dank für den Einblick in Deine (Eure) Gedanken. Ich habe sie mit meinen Gedanken oszillierend begleitend gelesen – vielleicht ist so etwas wie ein unerwarteter Emmausgang am Ostermontag 2020 entstanden. Herzlichen Dank dafür.
Ich erfahre immer wieder bei mir, wie die Neugierde, die der Unwissenheit folgt, Begrenzungen zunächst akzeptiert um Freiraum für Neues zu schaffen. Trotz manchmaliger Erschöpfung durch die vielfältigen Herausforderungen ist das für mich jedoch immer wieder die Quelle von sinnstiftendem, fröhlichem Neu–Mut.
Die Begrenzung auf „Was ist von mir gefragt“ – ermöglicht mir mit all dem, was mir aus Erfahrung und Erlebtem, philosophischer, spiritueller und kultureller Werthaltung und Wissen zur Verfügung steht, dem „Du“ in Martin Bubers Sinn mit meiner Begrenztheit ein Gegenüber zu sein.
„Der Ort des Dialogs ist die Herzmitte“ schreibt M. Buber in seinem Buch “Das Dialogische Prinzip“.
Ich denke dies so weiter: „Herzmitte, gemeint als ein liebender Ort der Begegnung mit dem DU und dem Selbst, der Verwandlung zulässt.“
Ich finde es ein Privileg – auch oder gerade in diesen Zeiten – Neues und Sinnstiftendes so zu erfahren.
Herzlich am Ostermontag
Barbara
Lieber Reinhold!
Vortrefflich! Die Neugier ist tatsächlich der Beweggrund zur Veränderung von Sichtweisen und ist der Gegenpol zur Angst, viel mehr als der manchmal törichte Mut, weil der neugierige Mensch die Reflexion übt. Und du hast auch einen so hübschen Ostergedanken formuliert: die Sehnsucht nach einem Ausweg. Mir fällt Christoph Schlingensief ein:
Das ist doch das, was uns im Leben immer wieder passiert: Man sieht ein Bild und denkt das sei die Welt. Vergisst aber ganz, dass es viele Bilder von der Welt gibt. Dass man in sich selber ganz viele Bilder, Ideen, Sehnsüchte hat, die man nicht erfüllen konnte, an denen man aber immer noch hängt, wo man weinen könnte, weil man sie nicht erfüllen konnte. Der Mensch besteht eben nicht nur aus Chemie, sondern auch aus ganz viel Sehnsucht.
(Diese Sätze habe ich damals zu 50 Jahre ÖGAM in Graz die Schauspieler sprechen lassen.)
Liebe Grüße und späte Frohe Ostern!
Bernhard
PS. Was mache ich derzeit so auf der Welt, gemeinsam mit Gabi: Wir pflegen meinen nun fast 101–jährigen Vater, ganz einfach weil die slowakischen Pflegerinnen verständlicherweise daheim sind. Am Morgen gehen wir mit ihm mit unendlich langsamen Schritten so als gingen wir ins Unendliche. Am Abend cremen wir seinen gebrechlichen Körper ein und so berühren wir uns, sein Geist und unser Geist bleiben ungebrochen. Uns fehlt es an nichts.
15. April 2020
Vielen Dank euch allen „Denkern“!!!
Ich fühle mich momentan in Ebensee sehr weit abseits von jeglicher Inspriration – deshalb tut es so gut, eure Gedanken zu lesen.
Ich freue mich auf unsere Vorstands-Konferenz!
Liebe Grüße
Susanne